Keine Ablehnung von Beratungshilfe für sozialrechtliches Widerspruchsverfahren!

Das Bundesverfassungsgericht hat erneut die Ablehnung eines Antrages auf Beratungshilfe, der sich auf ein Mandat zur einer sozialrechtlichen Frage bezog, als verfassungswidrig beurteilt. Der Antragssteller hat demnach das Recht, sich mittels eines vom Amtsgericht auszustellenden Beratungshilfescheins der Hilfe eines Anwalts für die Führung eines Widerspruchsverfahrens gegen das Jobcenter zu bedienen.

Man muss somit nicht selbst gegenüber dem Jobcenter tätig sein, wenn es dort um die Klärung rechtlicher Fragen geht.

Zusammenfassung der Entscheidung zur Beratungshilfe in Jobcenter-Angelegenheit

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 04.04.2022 in einer weiteren Entscheidung zu dieser Thematik festgestellt, dass die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Beratungshilfe für die Durchführung eines sozialrechtlichen Widerspruchsverfahrens rechtswidrig ist.
Der Grundsatz der Rechtswahrnehmungsgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 3 Grundgesetz (GG) sei demnach verletzt.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde sei offensichtlich begründet.

Grundlage des Verfahrens bildeten die zuvor ergangenen, die Bewilligung von Beratungshilfe (BerH) ablehnenden Beschlüsse des Amtsgerichts Kaufbeuren aus dem April 2021 bzw. Mai 2021. Das Amtsgericht hatte bei seiner ablehnenden Entscheidung rechtswidriger Weise auf eine vermeintliche Mutwilligkeit des Antrages auf Bewilligung von Beratungshilfe abgestellt.

Das Aktenzeichen der Entscheidung des BVerfG lautet 1 BvR 1370/21.

Vorangegangen waren durch das Jobcenter ergangene Arbeitslosengeld-II-Bescheide, mit denen dem Empfänger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für das zweite Halbjahr 2020 endgültig festgesetzt und gleichzeitig eine Erstattungsforderung von nach Ansicht des Jobcenters überzahlten Leistungen geltend gemacht wurde. Die Erstattungsforderung des Jobcenters beruhte dabei auf einer Auszahlung von Betriebskostenguthaben für vom Arbeitslosengeld-II-Empfänger bewohnte Unterkunft, die aus der Betriebskostenabrechnung des Jahres 2019 resultierte.

Der Arbeitslosengeld-Empfänger und Beratungshilfe-Antragsteller war dabei mit der entsprechenden Anrechnung der Nachzahlung auf das Arbeitslosengeld 2 nicht einverstanden, insbesondere weil der Betrag auf einen 6-Monats-Zeitraum von Juli 2020 bis Dezember 2020 umgelegt worden war.

Er wollte sich für das nun zu führende Widerspruchsverfahren der Hilfe eines Rechtsanwalts bedienen und diesen beauftragen, wozu er den Beratungshilfeschein beim Amtsgericht seines Wohnortes beantragte.

Die zunächst zuständige Rechtspflegerin als auch anschließend das Gericht zog sich in seiner nun folgenden, im Ergebnis die Ausstellung eines Beratungshilfescheins ablehnenden Entscheidung darauf zurück, der Antragsteller habe lediglich die Leistungsbescheide des Jobcenters pauschal auf ihre Richtigkeit überprüfen lassen wollen. Eine Vorsprache beim Jobcenter oder ein schriftlicher Versuch durch ihn selbst zur Aufklärung des Sachverhaltes habe nicht stattgefunden.

In der ablehnenden Entscheidung des Amtsgerichts lag nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts allerdings ein Rechtsverstoß. Bedeutung und Reichweite der Rechtswahrnehmungsgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten bei der Durchsetzung ihrer Rechte sei verkannt worden.

Der Beschwerdeführer habe keine besonderen Rechtskenntnisse und der zugrunde liegende Sachverhalt beinhalte schwierige Tatsachen- und Rechtsfragen, so jedenfalls im Hinblick auf die angezweifelte Rechtmäßigkeit der Anrechnung des Betriebskostenguthabens auf den Leistungsanspruch und der sich daran anschließenden Umlegung auf den Halbjahreszeitraum.

Die pauschale Verweisung auf die Beratungspflicht durch die den Bescheid selbst erlassende Behörde sei keine zumutbare Selbsthilfemöglichkeit. Der Beschwerdeführer muss sich folglich insoweit nicht erst selbst an das Jobcenter wenden, um sich dort zu der Thematik beraten zu lassen.

Dies war zuvor auch bereits in Beschlüssen der 3. Kammer des 1. Senats vom 28.09.2010, Az. 1 BvR 623/10 und der 1. Kammer des 1. Senats vom 07.10.2015, Az. 1 BvR 1962/11, entschieden worden.

Siegen, Januar 2023